Die Freundschaft
(Das Räubermädchen tritt auf)
Das Räubermädchen:
Was gibt’s, Mutter?
Die Räuberin:
Gib das Messer her. (Zerrt Gerda hervor)
Hier ist das Abendessen, das muss geschlachtet werden!
Das Räubermädchen:
(Zieht ein großes Messer hervor / Zieht Gerda zu sich hin/ Betrachtet sie)
Abendessen?
Gerda:
(Bekommt vor Angst fast die Sprache nicht heraus)
Ich bin kein Abendessen. Ich bin Gerda.
Das Räubermädchen:
(Betrachtet Gerda noch einmal eingehend / Wendet sich dann zur Räuberin)
Das ist kein Abendessen, das ist eine Freundin!
Die Räuberin:
Unsinn! Das ist keine Freundin, das ist das Abendessen!
Das Räubermädchen:
Wenn das das Abendessen ist, werde ich nie mehr zu Abend Abendessen essen!
Die Räuberin:
So, und was sollen wir dann heute Abend zu Abend für ein Abendessen essen? Meine Räuber können keine Wassersuppe mehr sehen!
Das Räubermädchen:
Ich werde prüfen ob sie eine gute Freundin ist. Ist sie gut, dann darfst du
morgen mein Rentier kochen, wenn nicht, dann ist sie eben doch Abendessen.
Die Räuberin:
(Schlägt ihre Tochter)
Nun gut, weil ich dich so sehr liebe! Aber morgen
gibt’s Fleisch!
Die Bühne verwandelt sich / Die Räuberin geht ab mit der Kutsche und dem Kessel / Eine Felldecke erscheint
Das Räubermädchen:
(Zeigt mit dem Messer auf Gerda)
Du bist also Gerda?
Gerda nickt
Das Räubermädchen:
Ich bin Johaninna-Rodalinda-Antoniella-Marierosalina-Angelinetta-Sofie.
Gerda:
Ah, ja...
Das Räubermädchen:
Aber du darfst mich Jo nennen.
Gerda:
Gut. Danke Jo.
Das Räubermädchen:
Du sollst ab jetzt mit mir spielen, mir deine roten Schuhe geben und mit mir in meinem Bette schlafen! Denk‘ aber ja nicht daran, zu fliehen. Ich binde dich fest und wenn ich merke, dass du dich davonschleichst, schneide ich dich in kleine Stücke!
Sie bindet Gerda ein Seilende am Fußgelenk an und das andere Ende an ihr eigenes Fußgelenk / Sie legen sich auf eine Felldecke / Das Räubermädchen kuschelt sich an Gerda
Das Räubermädchen:
Gute Nacht, Gerda. (Sie küsst Gerda)
Gerda:
Gute Nacht.
Johaninna-Rodalinda-Antoniella-Marierosalina-Angelinetta-Sofie, willst du das Messer behalten, wenn du schläfst?
Das Räubermädchen:
Was? Ich schlafe immer mit dem Messer. Man weiß nie, was kommt. Der Wald ist voller Gefahren.
Ich bin so froh, dass du da bist.
Das Räubermädchen schläft / Gerda windet sich unbemerkt aus der Umarmung / Sie prüft vorsichtig den Strick, kann ihn aber nicht lösen
Gerda:
(Singt)
Ich hab die Nacht geträumet
wohl einen schweren Traum:
es wuchs in meinem Garten
ein Rosmarienbaum.
Ein Kirchhof war der Garten,
ein Blumenbeet das Grab,
und von dem grünen Baume
fiel Kron‘ und Blüte ab.
Die Blätter tät ich sammeln
in einen goldnen Krug,
der fiel mir aus den Händen,
daß er in Stücke schlug.
Das Räubermädchen:
Gerda, liebe Gerda, was ist los mit dir?
Gerda:
Ich suche den kleinen Kay,
Ihn küsste die Schneekönigin.
Er wurde kalt wie Eis,
Doch muss ich zu ihm hin.
Ich muß fort, ich muß meinen kleinen Kay suchen.
Das Räubermädchen:
(Nach langem Schweigen)
Ich will keine Freundin, die unglücklich ist. Ich will eine Freundin, die glücklich ist. (Ruft)
Bä! Bä!
Das Räubermädchen zieht an einem langen Strick / Das Rentier erscheint, das Ende des Strickes um seinem Hals gebunden
Das Räubermädchen:
(Zum Rentier)
Gerda sucht den kleinen Kay,
Ihn küsste die Schneekönigin.
Er wurde kalt wie Eis,
Wie findet sie zu ihm hin?
Das Rentier:
Im Hohen Norden im ewigen Eis,
auf der Insel die Spitzbergen heißt,
ist der Palast der Schneekönigin.
Zwar weiß ich selbst den Weg nicht hin,
Doch eine finnische Frau, an der Insel Rand,
kennt sich aus in diesem Land.
Das Räubermädchen:
Gut, dann bringe du Gerda zu der finnischen Frau. Aber sorge dafür, dass sie wirklich dorthin kommt, sonst kommst du mir doch noch in den Kochtopf!