Das Dekameron

Das Dekameron
Nach Giovanni Boccaccio

Alle Rechte beim Litag Verlag München


Das Herz schweigt – Das Herz spricht


(Die Brigata betritt den Garten. Dioneo trägt den Kranz.)

Dioneo:
Los, Neifile, jetzt erzähle du uns so eine richtig schmutzige Geschichte von Liebenden, die durch List und Streiche zum glücklichen Ziel der Liebe kommen!

Neifile:
Schmutzige Geschichten kenne ich nicht.

Dioneo:

Nicht mal ein kleines bisschen verrucht?

Neifile
:
Nein.

Dioneo:

Anrüchig? Pikant? Frivol?

Neifile:

Dioneo.

Dioneo:
Soll ich sie für dich erzählen?

Neifile:

Ja. Nein. Ja. Warte...

Dioneo:

Janeinjawarte? Das wird ja eine verwirrende Geschichte.

Neifile:
Nein. Ich erzähle euch jetzt eine Geschichte. Eine schöne Geschichte. In Pistoia lebte einst ein sehr reicher, kluger aber auch sehr geiziger Ritter, der Francesco Vergellesi hieß. Er hatte eine sehr tugendsame junge Frau namens Isabetta, die wiederum von einem jungen Mann, den man Zima nannte, verehrt wurde. Eines Tages wurde der Ritter in das Amt des Stadtrichters nach Mailand berufen und brauchte zu diesem Anlass ein schönes Pferd. In seinem Geiz wollte er aber keins kaufen, und da sagte ihm irgendein schlauer Kopf:

Irgendein Schlaukopf (Filostrato):

(Zu Francesco Vergellesi (Emilia)) Geht doch zu Zima, der hat das schönste Reitpferd der ganzen Gegend!

Irgendein zweiter Schlaukopf (Fiammetta):

Ja! Außerdem verehrt er Eure edle Gattin...

Irgendein Schlaukopf (Filostrato):

Der wird Euch bestimmt einen guten Preis machen.

Irgendein zweiter Schlaukopf (Fiammetta):
Ach was, schenken wird er es Euch!

Neifile:

Von Habsucht getrieben ging er zu Zima

Francesco Vergellesi (Emilia):

(Zu Zima (Dioneo)) Zima, Sie haben doch gehört, dass ich zum Stadtrichter ernannt worden bin?

Zima (Dioneo):

Nein, ich kann Euch mein Pferd nicht verkaufen!

Francesco Vergellesi (Emilia)
:
---

Zima (Dioneo):
Ich kann es Euch aber schenken, unter einer Bedingung.

Francesco Vergellesi (Emilia):
Die da wäre?

Zima (Dioneo):

Ihr müsst mir erlauben, mit Eurer Gattin, der schönen Isabetta zu sprechen, durchaus in Eurem Beisein, aber so, dass niemand hören kann, was wir sprechen.

Francesco Vergellesi (Emilia):

Was erlauben Sie...! Nun gut. Das wird sich einrichten lassen.

Neifile:

Da sein Geiz ihn zu diesem unehrenhaften Handel verleitet hatte, sann er jetzt auf einen Weg, das Pferd zu bekommen, ohne dass sein Ruf Schaden dabei nehmen würde.


Francesco Vergellesi (Emilia):

Isabetta!

Isabetta (Neifile):

Mein Herr?

Francesco Vergellesi (Emilia):

Gleich wird dieser junge Gockel, den sie Zima nennen, mit dir reden wollen. Reden kann er auch so viel er will. Aber achte wohl darauf, dass du nicht ein Sterbenswörtchen antwortest, wenn du nicht willst, dass dein guter Name für immer dahin ist.

Isabetta (Neifile):

Sei unbesorgt mein Herr, dieser aufdringliche Zima ist mir schon lange eine Plage; ich werde mit Freuden schweigen.

(Sie gehen beide zu Zima, der schon wartet. Isabetta setzt sich zu ihm. Francesco Vergellesi setzt sich etwas entfernt hin.)

Zima (Dioneo):

Liebste Isabetta, Ihr seid schöner als die Sonne und lieblicher als der Morgen, bitte erhöre meine Bitte.

(Isabetta (Neifile) Schweigt.)

Zima (Dioneo):

Isabetta? Ihr schweigt. Nun, liebste, schönste Isabetta, auch mir verschlägt es ob Eurer Schönheit die Sprache. (Schweigt ebenfalls. Er schaut ihr so lange tief in die Augen bis sie ihren Blick senkt.) Ach Isabetta... Wisst Ihr, das erste Mal, als ich dich... als ich Euch... ach was, wir sind uns so nah, was soll diese Förmlichkeit? Jedenfalls als ich dich letzte Woche wieder sah, wie du durch das Tor kamst, da machte mein Herz einen solchen Sprung in meiner Brust...

Emilia:
Die Geschichte bitte!

Zima (Dioneo):

(Zu Francesco Vergellesi) Wenn Ihr uns noch hören könnt, müsst Ihr euch weiter entfernen! (Zu Isabetta)
...ab dem Moment wusste ich: die ist es und keine andere!

Neifile:
Was?

Emilia:

Ssssst!

Zima (Dioneo):

Du bist nicht „schöner als die Sonne“ oder „lieblicher als der Morgen“, das ist doch alles nicht echt. Du aber, du bist echt! Dir kann man nichts vormachen, dir muss man nichts vorspielen, vor dir muss ich nichts sein, als ich selbst! Du hast mich bisher für einen Quatschkopf gehalten, stimmt’s?

(Isabetta (Neifile) Seufzt.)


Zima (Dioneo):
Und es stimmt, ich war ein Quatschkopf, aber damit ist jetzt Schluss! Liebste Isabetta, in dir ist so viel Leben, so unglaublich viel Leben und immer wenn ich dich sehe, sehe ich, wie das heraus will, dieses Leben, wie es in dir brennt. Du willst nicht nur ein Bisschen, du willst nicht nur das, was man dir vorgedacht hat. Nein, du willst alles!

(Isabetta (Neifile) will „Ja!“ sagen, beherrscht sich im letzten Moment.)

Zima (Dioneo):
Ach, liebste Isabetta, du errötest. Ich sehe doch, wie es immerfort in dir brennt. Ach, darf ich hoffen, dass ich die Ursache dieses Feuers sein kann? Liebste, liebste Isabetta, ich möchte dir alles, wirklich alles geben, wovon du nur träumst. Die Welt liegt in Trümmern, alles liegt offen, ich geh mit dir wohin du willst! Bitte, ach bitte, liebste Isabetta, verleih mir deine Gunst und werde die Meine.

(Isabetta (Neifile) weint, schweigt aber weiterhin.)


(Zima wartet eine Weile, ob er eine Antwort bekommt. Dann begreift er die List des Ritters.)

Zima (Dioneo):

Ach! (Spricht jetzt so als würde Isabetta antworten) Zima... Lieber Zima, es ist wahr, das ich dich bisher für einen Quatschkopf gehalten habe. Doch jetzt sehe ich, wer du wirklich bist und dass deine Liebe wahrhaft schön und echt ist. Nimm mich darum jetzt sofort auf dem Bärenfell vor dem Kamin!

Neifile:

Dioneo!

Francesco Vergellesi (Emilia):

Weib, du sollst Schweigen!

Zima (Dioneo):

(Immer noch, als ob er an Isabettas Stelle spricht) ...oder nein, ja, nein, warte, lass mich es anders sagen: Allerliebster Zima, ich kann es kaum erwarten, von allen Hüllen befreit in deine Arme zu sinken und deine heißen Lippen an allen Stellen meines Körpers zu spüren...

Neifile:

So geht meine...

Zima (Dioneo):
...und wie du mir endlich, wie der himmlische Reiter, mit kräftigen Stößen den Teufel zwischen den Beinen austreiben wirst...

Neifile:
DIONEO! DAS IST NICHT MEINE GESCHICHTE!

Dioneo:
Du willst nicht, dass das deine Geschichte ist. Schade. Du hättest es lieber so?:  (Als Zima der an Isabettas Stellt spricht:) Lieber Zima, weil deine Liebe so groß ist, lasst uns zusammen Tee trinken, Gedichte lesen und uns über philosophische Themen und das Wetter unterhalten, bis wir alt genug sind, um den ganzen körperlichen Unsinn vergessen zu können. Es wird mir eine Freude sein, in inniger geistiger Liebe verbunden, den sinnlosen Verfall unserer Körper zu betrachten.

Neifile:

Nein!

Dioneo:
Nicht so und nicht so? Also lieber so: (Als Zima der an Isabettas Stellt spricht:) Zima, mein Zima, deine Liebe macht, dass ich gerne auf allen vieren die Decke hochkrabbeln und kopfunter sämtliche Choräle der Christmette rückwärts singen würde, während mein Mann sich in Gestalt eines Dackels die Eier leckt.

Francesco Vergellesi (Emilia):
Sind Sie bald fertig, Zima!?

Zima (Dioneo):

(Weiterhin an Isabettas Stelle sprechend) Liebster Zima, nun sehe ich wohl, dass ich Unrecht tat, deine Liebe zu verschmähen. Bald wird es aber die Gelegenheit geben, dies wieder gut zu machen. In einer Woche reitet mein Mann als Stadtrichter nach Mailand und bleibt wohl zwei  Monate weg. Sobald ich den kleinen Nachtigallenkäfig in mein Fenster stelle, sollst du nachts unbemerkt durchs Gartentor in unser Haus gelangen, wo ich dich voller Sehnsucht erwarten werde.

(Jetzt wieder als Zima:) Liebste Isabetta, du hast mein Leben gerettet. Ich werde alles genau so tun, wie du gesagt hast.





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